Was ist die „evangelische Familie“ der Zukunft (nicht)?

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat im Juni 2013 definiert, was er unter einer Familie versteht – und hat rund 160 Seiten dazu benötigt – als Orientierungshilfe wohl verstanden.

Dabei wird nicht ganz klar, wer sich denn nun mit Hilfe dieses Papieres orientieren soll. Die evangelischen Christen als Mitglieder dieser Kirche, die selbst Familie leben bzw. fördern wollen? Die Mitglieder der anderen christlichen Kirchen und weiterer Religionsgemeinschaften, die wissen wollen, ob sie gemeinsame Leitbilder leben oder ob sie sich distanzieren sollen? Die zahlreichen Mitmenschen, Institutionen und Bewegungen, die sich als religionsneutral oder gar religionslos neben der Kirche befinden, und die Gründe und Anlässe suchen, um die Kirche zu meiden oder gar zu verspotten und zu bekämpfen? Der Staat, der Steuergelder einsetzt, um Lebensformen gezielt zu fördern? Die Gesellschaft im Allgemeinen – wer immer das auch sei?

Konservative evangelische Kreise, die katholische Kirche und zahlreiche Freikirchen sind empört. Empört wohl weniger darüber, was der Rat der EKD auf 160 Seiten schreibt, denn viele Gedankengänge, historische und soziologische Herleitungen gesellschaftlicher Realitäten sind aus geistes- und sozialwissenschaftlicher Perspektive gut nachvollziehbar und vernünftig, ausgesprochen angenehm zu lesen im Sinne des aktuellen Mainstreams. Zahlreiche sonst sehr lautstarke Interessensgruppen, denen gegenwärtig in der politischen, behördlichen, medialen und akademischen Diskussion eine breite Plattform eingeräumt und eine wohlwollende Popularität zugestanden wird, werden sich durch dieses Papier nicht provoziert fühlen und nicht zum Kreuzzug gegen die EKD aufrufen müssen, da diese sich offensichtlich ganz gezielt im Rahmen der aktuellen political correctness bewegt.

Vielmehr entsteht die Empörung wohl darüber, was der Rat der EKD eben gerade nicht schreibt, um Orientierung im individualistischen, pluralistischen und relativistischen Zeitgeist zu geben. So findet sich im Opus der 160 Seiten der Orientierungshilfe kein Stellungsbezug für eine profilierte Definition einer Familie – weder für eine evangelische oder christliche Familie noch eine Familie im Allgemeinen:

  • weder für das Verständnis, dass Ehe und Familie göttliche Stiftungen bzw. Sakramente seien, und dass sie sich deshalb an gottgegebenen Offenbarungen jenseits von Zeitgeist, Gesellschaft und Kultur orientieren,
  • noch für ein normatives Verständnis von Ehe und Geschlechterrollen, die entsprechend aus der Bibel hergeleitet würden,
  • noch für eine Definition, dass eine Familie primär auf einer Kernfamilie aufbaue, die primär aus Eltern und Kind(ern) bestehe,
  • noch dass mit „Eltern“ ein Vater (sowohl Sex als auch Gender männlich) und eine Mutter (sowohl Sex als auch Gender weiblich) gemeint seien,
  • noch für ein Primat irgendwelcher Art eben dieser Lebensform von Vater – Mutter – Kind gegenüber Alleinerziehenden, Patchworkfamilien und gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften,
  • noch für das Primat der Erziehungsberechtigung bei den Eltern gegenüber dem Staat oder sonstigen Institutionen.

 Der Rat der Evangelischen Kirchen Deutschlands schlägt nicht den Weg der Profilierung, sondern den der Political Correctness und des Pluralismus ein, um die Zukunft der Familie zu sichern – was immer auch Familien sein werden unter den Prämissen von „Verbindlichkeit, lebenslange Verlässlichkeit, Verantwortung und Sorge füreinander, Geschlechtergerechtigkeit“. Was das wohl an Novellierungen in Gesetzestexten, behördlichen Weisungen und Stiftungszwecken nach sich ziehen wird? Ein Schalk, wer böses dabei denkt … hier geht es nicht einfach um Privatleben und Moral, sondern um sehr viel „öffentliches“ Geld, das (um)verteilt wird unter dem Titel der Familie, die eigentlich mal als Kernzelle der Eigenverantwortung galt …

Wer für sein persönliches Leben oder für sein gesellschaftliches Verständnis an einen der oben erwähnten definitorischen Ansätze glauben möchte, wird wohl nicht auf die Evangelische Kirche in Deutschland als Verbündeten zählen können.

Welchen Weg die reformierten Kirchen und Theologen der Schweiz einschlagen werden? Ob auch wir als Synode der evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt über unser Ehe- und Familienverständnis diskutieren werden?

Literatur:

Im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland herausgegeben vom Kirchenamt der EKD (2013) Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken – Eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Gütersloher Verlagshaus, ISBN 978-3-579-05972-3, oder via Internet

Päpstlicher Rat für die Familie (2000) Ehe, Familie und die „faktischen Lebensgemeinschaften“, via Internet

25 Kommentare zu „Was ist die „evangelische Familie“ der Zukunft (nicht)?

  1. Orientierungshilfe für Familien – Schwafelkirche in Selbstauflösung

    Von Alexander Kissler 25. Juni 2013

    Die „Orientierungshilfe“ der evangelischen Kirche zum Thema Familie räumt mit konservativen Werten auf. Der Protestantismus entfernt sich damit nicht nur von seinen christlichen Wurzeln, er macht sich damit gar zum Jünger eines grün-besserwisserischen Zeitgeistes

    http://www.cicero.de/salon/orientierungshilfe-fuer-familien-schwafelkirche-selbstaufloesung/54868

  2. Landesbischof July regt Konsultationsprozess an

    Lobende und kritische Worte für die EKD-Orientierungshilfe

    Vor Kurzem hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) seine Orientierungshilfe „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ vorgestellt. Dazu nimmt Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July Stellung.

    http://www.elk-wue.de/aktuell/detailansicht-pressemitteilung/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=46217&tx_ttnews%5BbackPid%5D=98&no_cache=1

  3. Voderholzer: EKD-Papier ist Abkehr vom biblischen Verständnis

    Regensburger Bischof Voderholzer sieht in EKD-Orientierungsschrift zu Ehe und Familie „Kurswechsel und Abkehr von der biblischen Sicht von Mann und Frau“. Er bittet die evangelischen Christen, auf den Boden der Heiligen Schrift zurückzukehren.

    http://www.kath.net/news/41800

  4. Evangelischer Arbeitskreis der CSU verurteilt EKD-Familienpapier

    Der Landesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CSU, Christian Schmidt, hat scharfe Kritik an der „Orientierungshilfe“ der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Familie geübt. Die Kirche habe sich dem Zeitgeist angepasst und sich weit von der Theologie Martin Luthers entfernt.

    http://www.pro-medienmagazin.de/politik.html?&news%5Baction%5D=detail&news%5Bid%5D=6769

  5. Papst Franziskus: Ehe und Familie haben zentrale Bedeutung

    Während die EKD in ihrem Familienpapier die traditionelle Vorrangstellung für die Ehe aufgegeben hat, unterstreicht die römisch-katholische Kirche die zentrale Bedeutung dieser Lebensform für Kirche und Gesellschaft. Das geht aus dem am 5. Juli veröffentlichten päpstlichen Lehrschreiben „Licht des Glaubens“ hervor. Darin schreibt Papst Franziskus: „Der erste Bereich, in dem der Glaube das Gemeinwesen der Menschen erleuchtet, findet sich in der Familie. Vor allem denke ich an die dauerhafte Verbindung von Mann und Frau in der Ehe.“ …

    http://www.idea.de/detail/thema-des-tages/artikel/ehe-und-familie-haben-zentrale-bedeutung-818.html

  6. Bischof July erneuert Kritik an EKD-Papier zu Ehe und Familie

    Württembergische Synode diskutierte über Orientierungshilfe

    Der württembergische Landesbischof Frank Otfried July (Stuttgart) hat seine Kritik an der EKD-Orientierungshilfe zur Familie erneuert. In einer aktuellen Stunde der in Bad Mergentheim tagenden Landessynode sagte er am 4. Juli, dass man sich „vor theologischer Argumentation fast weggeduckt“ habe. In dem Papier rückt die EKD von der Ehe als alleiniger Norm ab und vertritt ein erweitertes Familienbild, das unter anderem auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften mit Kindern einschließt. …

    http://www.kath.net/news/41941

  7. Rücktritt von EKD-Chef Schneider wegen Familienpapier gefordert

    15 Juli 2013, 12:00 Die innerevangelische Kritik an dem umstrittenen Familienpapier der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nimmt an Schärfe zu – Emeritierter evangelischer Tübinger Theologieprofessor Peter Beyerhaus schreibt offenen Brief an Präses Schneider …

    http://www.kath.net/news/42070

  8. Bischof Algermissen: Kulturkampf‘ gegen die Ehe

    „Der ideologische Kulturkampf zur Relativierung der treuen und lebenslangen Ehe“ wurde „deutlich verschärft“ – Pervertierte Journalisten-Sprachregelung hat sogar den Begriff „Hetero-Ehe“ geprägt. Von Bischof Heinz Josef Algermissen (Bonifatiusbote) …

    http://www.kath.net/news/42097

  9. Margot Käßmann: Positive Seiten der Ehe stärker herausstellen

    „Sogar EKD-Lutherbotschafterin übt Kritik am umstrittenen EKD-Positionspapier – wenn auch sehr moderat: „Wir sollten nicht von der Verfallsgeschichte der Ehe sprechen; sondern mehr von Paaren; die Goldene, Diamantene oder gar Eiserne Hochzeit feiern. …“

    http://www.kath.net/news/42146

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