Ja, Sie haben es gemerkt, dieser Blog hätte gestern Abend erscheinen sollen … aber der Champions League Fussballmatch FC Basel – Liverpool war den Männern in meiner Familie einfach wichtiger …
Der Advent ist gerade in einer Familie mit Kindern ein klassischer Abzähl-Monat. Sei es die täglich brennende Adventskerze, oder sei es der traditionelle Adventskranz an den Sonntagen vor Weihnachten.
Advent, eigentlich Adventus Domini, also die Ankunft des Herrn, entsprach ursprünglich dem griechischen Begriff Epiphanias, was für Erscheinung steht – womit wir plötzlich wieder sehr nahe bei der Apokalypse sind, die ja eigentlich für Enthüllung bzw. Entschleierung steht.
Offensichtlich ist unsere Gesellschaft ganz schön durcheinander geraten, was denn nun gute und was schlechte Veränderungen, Entwicklungen und Erwartungen sind. Viele Begriffe werden nicht mehr als das verstanden, was sie eigentlich aussagen. Viele Modelle und Konzepte werden nicht mehr verstanden.
Hand aufs Herz – wie viele fühlen sich nicht schlichtweg emotional überfordert, sich in einem mehrfach dynamischen Umfeld bewegen zu müssen, in dem individualistisch und wertepluralistisch bei jeder Gelegenheit mit neuen Partnern ausgehandelt werden muss, ob die aktuelle Ausrichtung, der neue Weg und das neue Ziel denn nun positiv oder negativ zu beurteilen sei. Die Globalisierung der verschiedenen Kulturen und Religionen und die Notwendigkeit des transdisziplinären Zusammenarbeitens der verschiedenen Berufsgattungen trägt ihren Teil zu diesem unermesslichen Verhandlungsnotstand bei.
Und ich erinnere mich noch gut an ein Ethikseminar, das ich vor Jahren mit Wirtschafts- und Rechtsstudierenden der Université de Fribourg durchgeführt habe. Auf meine Frage, welches denn ihre persönlichen Werte seien, antworteten diese jungen Leute (heute würden wir sagen die Generation Y): „Es kommt darauf an.“ Und sie schilderten mir, wie sie in ihrem Tagesablauf ihre sozialen Milieus wechseln und davon abhängig auch die Werte: Am Frühstückstisch noch bei den Eltern, dann an der Uni mit dem Professor, über Mittag in der Mensa mit den Kommilitonen, nachmittags bei einem Job, abends im Sport oder im Ausgang oder mit der Freundin. Und jedes Mal wird das persönliche Werte-Milieu den Umständen angepasst. Wie hiess es doch gleich? „Wer bin ich – und wenn ja – wie viele?“
Werte scheinen also kein Bestandteil einer authentischen Identität, keine verlässliche moralische Orientierungshilfe in schwierigen Entscheiden mehr zu sein. Werte der Ethik scheinen Verhandlungssache zu sein – abhängig vom Milieu, abhängig von den Umständen, wohl sogar abhängig von der Tages- und Jahreszeit? Wir erleben also das Phänomen einer Situations-Ethik.
Wären wir wirklich erstaunt, wenn nach der grossen Freiheit und Dynamik der Postmoderne sich nun eine neo-konservative Renaissance anbahnen würde? Und wenn wir in die Zeitschriftenmagazine (Landlust, Landleben …), in die Möbel- und Einrichtungsgeschäfte (Blümchentapeten und Blümchengeschirr) und auf die aktuellen Volksabstimmungen schauen, fragen wir uns zu recht, ob ein gewisser Neo-Konservativismus in der Bevölkerung nicht schon viel präsenter ist, als dies uns links-liberalen Intellektuellen eigentlich lieb ist …
Und aus Prinzip verurteilen und verspotten wir als Intellektuelle und Medienschaffende alles, was konservativ anmutet, sehr schnell, ohne die Botschaft dahinter ernst zu nehmen. Nein – das ist kein Comeback der Moderne, nein, das ist kein Comeback des Mittelalters … was wir erleben sind Anzeichen eines neuen „Biedermeier“.
Übrigens – werden Sie in zwei Monaten die Adventszeit begehen? Ja, ich verwende benutzt diese altertümliche Formel des „Begehens“. Nicht – stürzen Sie sich in den Shopping- Rummel, um dann Geschenke auszutauschen, von denen Sie die Hälfte weder wollen noch gebrauchen können. Nicht – nehmen Sie an den zahlreichen kulturellen und kulinarischen Events teil.
„Gehen“ Sie den Weg der Adventszeit – als einem schrittweisen Abzählen eines Weges? Sei dies auf eine Ankunft, eine Erscheinung oder eine Entschleierung hin.