Wild Cards und Black Swans

Dieser Blog thematisiert zwei Begriffe, die in den letzten Jahren sehr populär geworden sind, dabei wissen nur wenige, woher diese Begriffe stammen, was sie bedeuten und ob sie etwas unterscheidet.

Jenseits des Pareto-Prinzips

Auf Grund der Ökonomisierung unseres ganzen Weltbildes und des Verständnisses von Wirtschaft und Gesellschaft in den letzten 20 Jahren wurde in vielen Lebensbereichen das Pareto-Prinzip als Paradigma des Denkens und Handelns eingeführt. Das „Pareto-Prinzip“, auch „80-20-Regel“ genannt, besagt, dass 80% des Ergebnisses bereits mit 20% des Aufwandes erreicht werden kann. Für die letzten 20% der Zielerreichung wären die restlichen 80% des Aufwandes nötig. Da das Prinzip der Gewinnmaximierung in unserer Gesellschaft mittlerweile als Grundsatz weit verbreitet ist, werden häufig nur noch wahrscheinliche und unmittelbare Bedrohungen und Entwicklungen in der Planung und Risikovorsorge bedacht.

Die Methode des Arbeitens mit den eingangs erwähnten Wild Cards und Black Swans will demgegenüber Ereignisse thematisieren, die aufgrund von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen eigentlich erst in den letzten 5% der Planungsarbeit berücksichtigt würden. Da sie aber unverhältnismässig grosse, ja katastrophale Auswirkungen zeigen können, geniessen sie in der Risikoplanung und Zukunftsforschung eine ausserordentliche Bedeutung.

Wild Cards

Der Begriff „Wild Card“ stammt aus dem englischsprachigen Umfeld von Gesellschafts- und Glücksspielen. Er wird für den Joker in Kartenspielen verwendet, er entspricht im Tarot-Spiel, das im Bereich der Wahrsagerei eine grosse Bedeutung hat, dem „Narren“, und im Monopoly den „Ereigniskarten“, die als Zufallselemente angenehme und unangenehme Überraschungen bieten können.

In der Früherkennung, in der Risikovorsorge und in Krisen- und Katastrophenübungen wird der Begriff gebraucht, um überraschende und meist plötzliche Ereignisse zu bezeichnen.

Dabei hat diese Denk- und Planungsmethode einen mehrfachen Wert:

Da gerade auch Experten und Entscheidungsträger immer wieder in Denkgewohnheiten verfallen, soll mit dieser Methode provoziert werden, dass die Welt und die Menschheit keine Maschinen sind und dass die Entwicklung auch einen ganz anderen, überraschenden Weg nehmen könnte.

In Planspielen und Übungen soll mit Wild Cards zusätzlicher Stress durch überraschende Ereignisse geschaffen werden.

In der systemanalytischen Früherkennung wird bewusst untersucht, welche wenig beachteten und unterschätzen Schwächen und Verwundbarkeiten eine wirtschaftliche oder staatliche Einheit haben könnte. Wild Cards sind diejenigen Ereignisse, die einerseits möglich und plausibel sein sollen, andererseits aber sehr selten sind und im Allgemeinen unterschätzt werden. Diese Wild Cards sollen an den unterschätzten Verwundbarkeiten des Systems ansetzen und testen, ob das System ein derartiges Ereignis überlebt bzw. wie sich das System ändern würde.

Black Swans

Black Swans – Schwarze Schwäne – ist ein Begriff, der vom US-amerikanischen Professor Taleb 2007 eingeführt wurde.

Der schwarze Schwan, Cygnus atratus, ist das Wappentier Westaustraliens. In Europa und US-Amerika ist er nur vereinzelt anzutreffen. Selbsttragende Populationen sind in Europa nur in den Niederlanden und in Nordrheinwestfalen bekannt. Der „Schwarze Schwan“ ist somit ein Symbol für einen seltenen Vogel, der in der öffentlichen Wahrnehmung als Ausnahme oder sogar als Fehlentwicklung des weitverbreiteten weissen Schwans verstanden wird. Der weisse Schwan ist allgemein bekannt und wird auch in Mythen und Märchen seit alters her thematisiert.

Nassim Nicholas Taleb analysierte in seiner Schwarze-Schwäne-Theorie Ereignisse, die eine unverhältnismässig grosse Rolle spielen können. Sie sind schwer voraussagbar und derart selten, dass die Öffentlichkeit solche Ereignisse eigentlich als unwahrscheinlich oder sogar unmöglich einstuft. Mit technischen und naturwissenschaftlichen Methoden kann die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses nicht berechnet werden. Falls ein solches Ereignis eintritt, kann es sich zu einem unerwarteten Grossereignis entwickeln, dessen Folgen sehr weit reichen können.

Synonyme Verwendung

In der Praxis der Früherkennung und des Risk Managements werden die Begriffe „Wild Cards“ und „Black Swans“ meistens synonym verwenden. Unterschiede sind akademischer Art bzw. erklären sich aus der persönlichen Lektüre und dem Ausbildungshintergrund der jeweiligen Fachleute. Verallgemeinernd kann gesagt werden, dass aufgrund der Popularität von Professor Taleb in den US-orientierten Medien und in der Finanzbranche in den letzten Jahren der Begriff des „Black Swans“ sehr populär geworden ist, Fachleute aus Früherkennung und Zukunftsforschung verwendeten aber bereits Jahre früher für ähnliche Ereignisse den Begriff „Wild Card“.

Entscheidend bei der Verwendung in der Früherkennung und Zukunftsforschung ist

–         dass es sich um sehr seltene Ereignisse handelt, die auch Jahrhundert- oder Jahrtausendereignisse genannt werden, dabei kann es sich auch um erstmalige Ereignisse handeln,

–         dass diese Ereignisse von der Öffentlichkeit, von Entscheidungsträgern und auch von Experten nicht rechtzeitig als relevantes Risiko erkannt werden und sie in Planung und Vorsorge unterschätzt worden sind,

–         dass diese Ereignisse weitreichende Folgen provozieren können und insbesondere auch deshalb verheerend wirken können, weil diese Folgen unerwartet sind.

Welche Wild Cards und Black Swans in den letzten Jahren unerwartet Realität geworden sind und welche entsprechenden Phänomene in den nächsten Jahren auftreten könnten, soll uns in den nächsten Blogs beschäftigen.

3 Kommentare zu „Wild Cards und Black Swans

  1. Nach dem Erkennen einer Wild Card oder eines Black Swan stellt sich die Frage des Umgangs mit dieser Erkenntnis. Wie gehe ich z. B. damit um, dass die US Geological Survey davon ausgeht, dass es in der Greater Bay Area in nächsten 30 Jahren mit einer Wahrscheinlickeit von 63% zu einem Erdbeben stärker als 6,7 kommen wird? Verzichte ich deshalb auf Ferien in San Franciso? Das wäre im Prinzip verkraftbar. Aber wie ist es, wenn meine Firma mich dorthin versetzen möchte, und diese Versetzung mit einem grossen Karrieresprung verbunden ist? Ein Umzug nach San Francisco könnte eventuell meine gesamte Existenz auslöschen – eventuell aber auch nicht, im Gegenteil sogar. Soll ich wegen einer 63%igen Erdbebenwahrscheinlichkeit den Karrieresprung sausen lassen? Oder auch schon nur die Ferien? Gleichzeitig esse ich trotzdem öfters im Burger King, fahre trotzdem ohne Helm Velo und überquere trotzdem weiterhin Autostrassen zu Fuss …
    Schwere Schadensereignisse mit kleiner Eintrittswahrscheinlichkeit, gegen die man sich nicht einfach versichern kann, sind schwierig in den Alltag zu integrieren. Sicher ist man nur dann, wenn man sich so verhält, als stünde der Eintritt unmittelbar bevor. Wenn ich weiss, dass ein Erdbeben San Francisco nächste Woche erschüttern wird, werde ich diese Woche nicht noch dorthin umziehen. Auch auf einen Whopper würde ich verzichten, wenn ich wüsste, dass genau er einen Herzinfarkt bewirken wird. Aber wer so auf alle Black Swans in seinem Alltag reagiert wird bewegungsunfähig.
    Die Versuchung ist gross, sich einen Lieblings-Black Swan zu halten: Mit seinem Eintreten rechne ich und unternehme auch unverhältnismässig grosse Vorkehrungen – vor den anderen verschliesse ich die Augen … (und lasse auf dem Weg zum Burger King den Velohelm zu hause).

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