Virtualisierung, Medialisierung und die damit verbundene Transparenz gehen Hand in Hand und führen zu einem signifikanten Qualitätswandel der Medien. Durch die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Internet und Social Networks und dem niedrigen Preis hat eine Popularisierung der Medien stattgefunden: Theoretisch kann beinahe jeder auf billigste und schnellste Weise Nachrichten und Kommentare produzieren und in der medialen Welt verbreiten und die kommerziellen Medien stehen selbst in einem noch vor wenigen Jahren undenkbaren Konkurrenzdruck im Kampf um Aufmerksamkeit und Meinungsbildung: knapp 4 Millionen Schweizer sind täglich im Internet[1], über 2 Millionen haben ein Facebook-Account[2]. Schweizerinnen und Schweizer verbringen mittlerweile mehr Zeit im Internet als vor dem Fernseher[3]. Nicht mehr die Qualität der journalistischen Recherche sondern Geschwindigkeit, Effekthascherei, Fortpflanzung von Meldungen über Social Networks und das Ranking in der Google Suche sind zu Erfolgsfaktoren geworden, die Werte wie Korrektheit, Nachprüfbarkeit, Ausgewogenheit und Sachlichkeit überholt haben.
Unser politisches System der Konkordanz konnte sich bisher ausgewogene Vernehmlassungsprozesse, Interessensabwägung und Absprachen zwischen Beteiligten und Betroffenen leisten und grossen Wert auf methodisch und inhaltlich korrektes Expertenwissen legen, das die Verwaltung für die politischen Entscheidungsträger aufbereitete. Entsprechend konnte in einem geschützten Rahmen viel Zeit in die Meinungsfindung und Entscheidungsvorbereitung investiert werden.
Die Transparenz und Emotionalität der Social Networks, die Schnelligkeit der Massenmedien, die sich den Sachzwängen der elektronischen Medien angepasst haben und zu Tageszeitenmedien mutiert sind, und die Bereitschaft vieler Politisierenden, aktiv am „Markt der medialen Aufmerksamkeit“ teilzunehmen, stellen eine grosse Herausforderung an sachorientiertes Arbeiten dar, das sich traditionell an einer 0%-Fehler-Quote orientiert.
Die Qualität und Schnelligkeit der neuen Medien und Kommunikationsformen führt zu einer Vermischung von persönlich-emotionalen, interessenspolitischen und sachlichen Ebenen, da für eine sachliche und fundierte Analyse und die akademische Verifizierung der Inhalte meistens keine Zeit mehr bleibt. Die Evaluation von Glaubwürdigkeit und Absenderlegitimation und die Deutungshoheit gewinnen unermessliche Bedeutung
Durch die globale und andauernde Verfügbarkeit der neuen Medien und Kommunikationsformen sind die Kommunikationswege kaum noch kontrollierbar. Die aktive Meinungsbildung und die eindeutige Information der Bevölkerung werden immer schwierig. Korrekte oder gefälschte Nachrichten, Gerüchte, Verschwörungstheorien oder Richtigstellungen befinden sich in einem chaotischen Wettbewerb um Aufmerksamkeit – und dabei ist bei vielen Themen häufig lange nicht klar, ob sich Behörden und sachorientierte akademische Experten wirklich durchsetzen können – erinnern wir uns nur an die Impfkampagne im Zusammenhang mit der H1N1-Pandemie zurück. Behörden, die dabei unterschiedliche Positionen vertreten und deshalb in eigenem Interesse gegeneinander kommunizieren – wie bei der Loveparade in Duisburg – tragen zu ihrem eigenen Glaubwürdigkeitsverlust in der Bevölkerung aktiv bei.
Die Behörde als „Obrigkeit“ ist in grossem Masse auf verschiedenen Ebenen herausgefordert
- Die Behörde nutzt die Medien als Informationskanal: Sie muss versuchen, die offizielle „obrigkeitliche“ Information durchzusetzen. Dabei reichen simple Verlautbarungen in einer Richtung nicht mehr aus, vielmehr muss verifiziert welche Botschaften wo ankommen, wie sie transportiert und gewandelt werden.
- Die Verwaltung selbst wird zum Medienobjekt: Gerade die virtuelle Welt bietet einen fruchtbaren Nährboden für Verschwörungstheorien sämtlicher Art, die die Glaubwürdigkeit und Absenderlegitimation der Behörden hinterfragen.
- Die Mitarbeitenden der Verwaltung sind selbst Medienkonsumierende: Ihre persönliche Meinungsbildung unterliegt nicht der obrigkeitlichen Information – denn meistens ist diese frühmorgens durch den Konsum von Gratisboulevardmedien und durch den eigenen Zugang zu den virtuellen Social Networks bereits vorgeprägt. Die immer noch erstaunlich weit verbreitete Experten- und Vorgesetztenmeinung, dass Verwaltungsmitarbeitende ausserhalb dieser Einflussspähren stehen und sich primär an Fach- und Behördeninformationen orientieren, ist schlicht naiv.
[1] http://news.worldsites-schweiz.ch/internetnutzung-39-millionen-schweizer-sind-taeglich-online.htm/
[2] http://bernetblog.ch/tag/serranetga/
[3] http://www.clickwerk.ch/go/blog/studie-internetnutzung-in-der-schweiz/