Hoffnung – eine soziologische Einführung

Vorbemerkung: Dieser Text entspricht einem Kapitel, das Francis Müller, Chefredaktor swissfuture Magazin für Zukunftsmonitoring, und Religionssoziologe MA für die gemeinsame Studie http://www.Hoffnung2010.ch (2010, S. 31) verfasst hat. (www.francismueller.ch):

Hoffnung ist ein handlungsleitendes Konstrukt, das als Motiv oder auch als Entscheidungskriteriumdas Handeln bzw. Verhalten einer Person innerhalb eines sozialen Umfeldes bestimmt.Hoffnung ist ein Konstrukt, das Inhalt von Kommunikation und Interaktion istund die Beziehungen zwischen Menschen bestimmt.
Wilfried Laubach

„Die im letzten Kapitel erwähnte Motivation schliesst an dem an, was MAX WEBER als „Sinn des sozialen Handelns“ erwähnt: „Soziales Handeln aber soll ein solches Handeln heissen, welches seinem von dem oder den handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist“ (WEBER 1921/1972: 1). Diese Definition schliesslich natürlich auch Hoffnungen mit ein: Hoffungen richten sich nicht nur, aber auch in eine soziale Sphäre. Auf einer solchen mikrosoziologischen Ebene „kann Hoffnung jedoch auch als bestimmtes Motiv für spezifische Handlungen gesehen werden, die sich auf andere Personen, auf ein soziales Umfeld und damit auf Teile von Gesellschaft bzw. auch auf Gesellschaft insgesamt beziehen“ schreibt LAUBACH (2006: 47-52). Er leitet daraus ab, dass Hoffnung implizit Bereiche soziologischer Theorien tangiert und Gegenstand soziologischer Überlegungen sei.

Auf einer makrotheoretischen Ebene werden Hoffnungen durch sozialhistorische und religiöse Konditionierungen Prozesse begünstigt. Während das antike Denken von Hoffnungslosigkeit geprägt war (vgl. JAMES 1997: 152-187), entwickelt sich besonders im Christentum eine Kultur der Hoffnung: Es gibt nun plötzlich Himmelsplätze für alle, selbst für Sklaven. Das lässt hoffen. Es entsteht eine Erlösungsmethodologie, die sich nicht nur an die Elite einer stratifizierten Gesellschaft richtet, sondern gerade und ganz besonders im Urchristentum an die Ärmsten und Unterdrückten. Diese Demokratisierung der Hoffnung zeigt sich unter anderem bei der Beichte, bei der das Individuum sich selbst ausleuchtet, zumal nicht nur vollzogene Taten, sondern auch Gedanken, Intentionen und Hoffnungen gebeichtet werden (vgl. HAHN 1982: 407-434). Daraus jedoch zu folgern, dass Hoffnung ein explizit christlich-okzidentales Phänomen ist, wäre eine zu eurozentrische Sichtweise, wie bereits weiter oben erläutert wurde, kennen auch andere Religionen das Phänomen Hoffnung.

Wenn wir soziologisch über die Hoffnungen nachdenken, müssen wir Theoreme wie etwa den linguistic turn berücksichtigen. „In jeder beliebigen Epoche, so weit wir auch zurückgehen mögen, ist Sprache immer als das Erbe der vorausgehenden Epoche“ (SAUSSURE 1967: 85). Hoffnung ist ein arbiträrer Begriff. Indem wir als Kinder durch den Spracherwerb sozialisiert werden, internalisieren wir die Sprache – und das Potenzial, über sie zu reflektieren. So entwickeln wir Geist (vgl. MEAD 1934/1973: 230-235): Wir erfahren die eigene Existenz zunehmend in einer temporalisierten Dimension. Folglich beginnen wir zu hoffen. Hoffen bedeutet auch, mir eine andere Situation vorzustellen, als die, in der ich mich jetzt befinde. Es kommen „verzögerten Reaktionen“ ins Spiel (vgl. MEAD 1934/1973: 139). Ähnliches bezeichnet BLOCH auf einer philosophischen Ebene als das „antizipierende Bewusstsein“ (1959/1985: 49- 391).

Hoffnung hat aus einer soziolinguistischen Perspektive eine gesellschaftliche Qualität: Ob wir auf die grosse Liebe, die Erholung der Börse oder einfach darauf hoffen, dass es aufhört zu regnen – Hoffnungen beziehen sich auf intersubjektive Sphären: Andere Menschen können dieselben – oder davon abweichende oder entgegengesetzte – Hoffnungen formulieren. Selbst Hoffnungen, die in postmortale Sphären übergehen, also Ewigkeits- oder Jenseitsvorstellungen, haben eine kulturelle Dimension; dies zumindest ab dem Moment, in dem wir dafür Begriffe und allgemeine Vorstellungen zur Verfügung haben. Hoffnung gehört zu den allgemeinen Ideen, die ihre Existenz und Wirklichkeit im Wort haben (vgl. DURKHEIM 1994: 112).

Unsere Studie folgt dieser Prämisse: Hoffnungen – sobald kommuniziert – befinden sich immer in einer Sphäre des Sozialen. Das macht sie erfassbar. Wir untersuchen also nicht die Hoffnungen im Individuum, sondern die „Objekte“, worauf sie sich bezieht (mit „Objekten“ sind in diesem Zusammenhang erhoffte Phänomene gemeint; etwa der Sieg einer politischen Partei, ein Sechser im Lotto oder bestimmte Jenseitsvorstellungen).“

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