Der Begriff „Szenario“ wird einerseits in der Zukunftsforschung als Methode der Früherkennung, der (politischen) Planung und (politischen) Diskussion und andererseits in der Sicherheitsbranche für Einsatz-, Krisen- und Katastrophenübungen verwendet. Dieser Blog beschäftigt sich mit den „Zukunfts-Szenarien“
Nachdem in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts das Weltbild der Planung auch im gesellschafts- und politikwissenschaftlichen Bereich noch stark von mechanistischen Vorstellungen aus den Naturwissenschaften und den Ingenieurtechniken geprägt waren, und die Prognose durch Experten das übliche Tool war, änderte sich dies in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend.
Die Gefahr von Fehleinschätzungen seitens der Prognostik vergrössert sich in einer Zeit zunehmender Dynamik und Komplexität seit der Mitte des 20. Jahrhunderts erheblich. So traten seit den späten 60er Jahren lineare Methoden wie Zeitreihenanalysen, Trendextrapolationen und Modelle, die ihre Aussagen hauptsächlich aus der Statistik ableiteten, immer mehr in den Hintergrund. Als Beispiel sei etwa an die Fehlaussagen der Bevölkerungshochrechnungen aus den 60er Jahren erinnert.
Seit den 80er Jahren gelten die wissenschaftlichen Bemühungen aber auch die Anwenderpraxis immer häufiger dem Einsatz der Szenario-Technik. Dabei haben sich verschiedene Schulen herausgebildet, wie Szenarien entwickelt und dargestellt werden. Insbesondere in politisch relevanten Bereichen, in denen keine Einheit in der Problemanalyse und der Zielformulierung besteht, wird häufig mit Szenarien gearbeitet.
Die Szenario-Technik wird für die Erarbeitung und Beschreibung künftiger wahrscheinlicher oder möglicher Entwicklungen bzw. zukünftiger Situationen verwendet. Mit dieser Technik der primär qualitativen Simulationen können insbesondere Faktoren einbezogen werden, die datenmässig noch wenig belegbar und quantitativ kaum messbar sind. Sie ist eine Prognosetechnik, die auf der Ebene der langfristigen, strategischen Planung angewendet wird. Entscheidend ist, daß keine Prognose für die Entwicklung berechnet oder formuliert wird. An ihre Stelle tritt die Beschäftigung mit verschiedenen alternativen Zukünften – diese sollen verschieden, aber alle aufgrund der aktuellen Erkenntnisse realistisch sein.
Dabei soll es sich beim Szenario nicht um ein Analysesystem handeln, das mögliche Entwicklungen und Einwirkungen auf einen einzigen Entwicklungs- bzw. Handlungsstrang einengt. Die Szenario-Technik wird vielmehr bewusst dafür eingesetzt, ein Denken in Alternativen zu fördern. Unsicherheit wird bewältigt oder unter Kontrolle gehalten, indem mögliche Verhaltens- und Strukturmuster erarbeitet und vorausdenkend simuliert werden. Statt von prognostizierten zukünftigen Zuständen gehen systemische Manager von wahrscheinlichen, überraschungsarmen und/oder überraschungsreichen Szenarien aus. Diese erlauben es, strategische Entscheidungen zu fällen und zu überprüfen. Sie erlauben auch, Eventualhandlungen zu durchdenken und zu planen.
Der Begriff des „Szenarios“ ist dabei aus der Dramaturgie entliehen: Möglichst konkret und vorstellbar soll vergleichbare Szenen verschiedener möglicher Zukünfte parallel beschrieben werden, damit Entscheidungsträger und Stakeholders gemeinsam darüber diskutieren können, ob diese Art von Zukunft gewollt ist bzw. welche Massnahmen zur Förderung oder Eindämmung von Auswirkungen ergriffen werden müssen.
Beim Arbeiten mit Szenarien wird – im Gegensatz zur herkömmlichen Prognose – von vornherein darauf verzichtet, die Genauigkeit in der mathematischen Beschreibung zu suchen. Es handelt sich um ein argumentatives Verfahren zur Ermittlung künftig möglicher oder wahrscheinlicher Situationen und Entwicklungen. An die Stelle rechnerischer Genauigkeit tritt die grösstmögliche Differenziertheit der Zukunftsbeschreibung.
Die Szenario-Technik schliesst – wie allerdings auch die herkömmliche Prognose – subjektive oder vorwissenschaftliche Einflüsse nicht aus. Sie sind beim argumentativen Szenario aber leichter festzustellen und einzuschätzen als bei Modellrechnungen, die eine Scheingenauigkeit suggerieren, die für Aussenstehende, Medien und Bevölkerung ohne spezifische Fach- und Modellkenntnisse nicht nachvollziehbar sind.
Mit der Szenario-Methode wird die Hoffnung verbunden, dass im Planungs- und Entscheidungsprozess künftige Wirkungsverläufe samt ihrer Konsequenzen bildhafter dargestellt und damit vom Anwender oder Leser wesentlich besser verstanden und beurteilt werden können. Szenarien sollen deshalb künftige Situationen und Handlungsmöglichkeiten in einer Art beschreiben, die den Umgang mit Veränderungen schult und die Verhaltensänderungen ermöglicht
Szenarien haben daher die Aufgabe, Verständnis für Zusammenhänge, Prozesse und entscheidungsrelevante Momente zu schaffen und damit die Befähigung zu zukunftsgerechten Handlungen zu vermitteln und nicht primär die Richtigkeit im Sinne von Eintreffwahrscheinlichkeit anzustreben. Um das Denken in Alternativen und Varianten zu ermöglichen und zu fördern, sind Szenarien keine Aussagesysteme, die die künftige Wirklichkeit auf einen einzigen Handlungsstrang einengen. Szenarien sollen abzubildende Komplexität nicht reduzieren, sondern sich dieser möglichst weit annähern.
Szenarien vereinigen die tabellarische und grafische Darstellungen, um die Vergleichbarkeit zu ermöglichen, mit ausformulierten verbalen Situations- und Entwicklungsbeschreibungen, die einfach vorstellbar sein sollen.
Ein sehr gelungenes Beispiel für ein Szenario ist G. Orwells „1984“. Viele Qualitäten heutiger individueller Orientierungs- und Selbstbehauptungsschwierigkeiten einerseits, der Definition und Legitimation privater, ideologischer, nationaler Kollektive und weltumspannender strategischer und konspirativer Vernetzungen sind, besonders hinsichtlich des Atmosphärischen und des Alltagsambientes, erstaunlich treffsicher dargestellt.
Szenarien setzen sich aus einer Vielzahl von ‚Objets trouvés“ aus den Wissenschaften, Theorieen, Kritiken, Beobachtungen des politischen, wirtschaftlichen, technischen und kulturellen Alltags und der davon erzeugten Hoffnungs-, Lust- und Frusttrends zusammen und können im glücklichen Fall zu eigentlichen Kunstwerken gedeihen, auch wenn das nicht immer von Allen damit Konfrontierten wahrgenommen wird.
In der Vergangenheit wurde gern von „exakten Wissenschaften“ im Unterschied – extrem missverständlich gar im Gegensatz – zu den „Geistes“wissenschaften gesprochen, in der Erwartung, die „exakten Wissenschaften“ lieferten „exakte“ Aussagen („exact“ i.S. von eindeutig und entsprechend absolut gültig, unumstösslich). Im Grunde waren nur die Methoden der Problemlösung exakt – aber bereits bei der Problemstellung und -auffassung konnten deftige Portionen Emotionalität eine grosse Rolle spielen.
Die „Geistes“wissenschaften befassten sich mit Darstellungen anders gearteter Komplexität als die „exakten“ Wissenschaften und wurden daher von denen, die „gesicherte Richtigkeit“ anstrebten, beargwöhnt.
Die Szenarienmethode vereinigt in gewisser Weise die beiden Auffassungen, wie es möglich sei, zu brauchbaren Einsichten zu gelangen.
Szenarien geben keine Antworten, sondern stellen verschiedene Kompositionen von Fragestellungen vor. Einige der in solchen Kompositionen enthaltenen Fragestellungen lassen sich in Mathematische Modelle umformulieren. Die Ergebnisse solcher Modellrechnungen sind dann wichtig für die Gewichtung der Komponenten und entsprechend für die Interpretation des Szenarios.
Wer die Zukunft bewältigen will, muss sich von der Erwartung verabschieden, es gebe allgemein gültig präzise Antworten auf komplexe Fragen.